„Auf dem Boden der Tatsachen bleiben“ – diese Redewendung bringt zum Ausdruck, dass jemand realistische Vorstellungen der Wirklichkeit hat, sich an die Tatsachen hält und bei der Wahrheit bleibt. Können wir das von der Politik noch behaupten? Und davon abgesehen: Stehen wir als Gesellschaft überhaupt noch auf dem Boden der Tatsachen?

Wenn man bedenkt, dass die Meisten von uns ihre Füsse Tag für Tag in Schuhwerk zwängen, das jeglichen Kontakt mit dem Boden unterbindet und in zubetonierten Städten über dick asphaltierte Strassen gehen, sind gewisse Fragezeichen in Sachen „Bodenhaftung“ durchaus berechtigt.
Der moderne Alltag macht es uns zunehmend schwieriger, den Boden unter unseren Füssen zu spüren. Und auf Spielplätzen werden die Kleinsten sofort gescholten, wenn sie eine Handvoll Erde zum Mund führen – der schrille Ausruf „Nei, das isch gruusig!“ spricht Bände…
DER LETZTE DRECK SIND WIR
Wann haben wir begonnen, unsere Böden als Schmutz wahrzunehmen? Warum fürchten wir die nackte Erde so? Ist es, weil die Erde als letzte Ruhestätte uns irgendwann verschlingen wird? Ist es, weil wir uns dank technologischem Fortschritt immer weiter von ihr entfernt haben und nun zuoberst im Wolkenkratzer unseren Allmachtsphantasien frönen? Oder weil es irgendwann als schmutzig und rückständig galt, Ackerbau zu betreiben?
Soviel steht fest: Wenn etwas schmutzig ist, dann sind es die Geschäfte, die wir Menschen mit der Erde treiben. Über den ausbeuterischen Umgang mit Böden und Ressourcen wurde bereits viel geschrieben. Eigentlich wissen wir alle, was die Folgen sind und dass es so nicht weitergehen kann.

Wie die Klima-Aktivistin Greta Thurberg kürzlich in der „Late NIght Show“ sagte: „In Amerika mag der Klimawandel noch als etwas diskutiert werden, woran man glauben kann oder nicht. Bei mir zuhause gilt er als Tatsache.“
Heiter und geerdet – wer hat es noch, dieses Lebensgefühl? Wer sich umschaut (und vielleicht auch ehrlich in sich hineinhorcht) wird etwas anderes wahrnehmen.
Obwohl wir hier in Mitteleuropa ein so bequemes Leben führen wie noch keine andere Generation vor uns, sind wir vor allem eines: gestresst. Da wäre ein Bad in der Natur oder ein Riechfläschen voll würzigem Humusduft gerade die rechte Kur! Doch anstatt innezuhalten und auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren stressen wir stattdessen nach der Arbeit noch eben mal schnell ins Fitness-Studio, um unsere verspannten Muskeln in abgestandener Luft auf einer Maschine aus Plastik auf Vordermann zu trimmen…
EIN SCHRITT WEITER
„Macht Euch die Erde untertan“ – diese biblische Aufforderung hat der Mensch buchstabengetreu befolgt und erntet jetzt, was er gesät hat. Es ist sehr zu hoffen, dass wir bald einen Schritt weiter kommen und Böden nicht länger als arg gebeutelte Sklaven unserer Wünsche geringschätzen sondern als (System-)Partner anerkennen, ohne die auch wir keine Lebensgrundlage mehr haben.
Barfusspflicht für mehr Bodenhaftung?
Könnte die sofortige Einführung einer Barfusspflicht für mehr Erdverbundenheit und Achtsamkeit sorgen? Eine spontane und sicherlich gewagte These. Tatsache allerdings ist: Die sensorische Verbindung zwischen unseren Füssen und unserem Hirn ist stark. Die Füsse sind ein Teil davon wie unser Hirn Bewegung wahrnimmt. Der deutsche Orthopäde Carsten Starck berät Menschen mit Fussprobleme und ist überzeugt: „Füsse sind noch immer ein weit unterschätzter Körperteil im Regelkreis unserer Körperfunktionen“.
Studien zeigen, dass Menschen Gleichgewichtsprobleme bekommen, wenn die sensorische Wahrnehmung ihrer Füsse gehemmt wird (Quelle: Dokfilm Shoespiracy). Füsse in Schuhen, das kommt aufs Gleiche raus wie sein Hinterteil dauerhaft auf einem dick gepolsterten Sessel zu parken: Alles verweichlicht, die Muskeln werden deaktiviert.
Es scheint fast so, als ob fehlender Bodentkontakt auch dazu führt, dass unser Hinrmuskel atrophiert und uns die Fähigkeit zu klarem Denken abhanden kommt!
Auffällig ist, dass barfuss gehende Naturvölker eine liebevolle und achtsame Verbindung zu Mutter Erde pflegen.
DAS BU.. äh… BODENWUNDER
Wer sich näher mit dem Boden befasst (Immobilienspekulanten sind hier nicht angesprochen ; ), wird schnell von Ehrfurcht gepackt, denn die Komplexität und Perfektion des Systems „Boden“ ist atemberaubend.
In einer einzigen Fingerspitze (!!!) Boden leben zum Beispiel mehr Tiere als Menschen auf der Erde. Auch die Fähigkeit der vielen winzigen Bodenbewohner, die Reste von Tieren und Pflanzen immer weiter zu zerlegen, bis sie wasserlöslich sind, ist beeindruckend. Diese löslichen Stoffe (Mineralien, Salze) sind es, die den Pflanzen anschliessend als Nährstoffe dienen und von ihnen über die Wurzeln mit dem Wasser aus dem Boden aufgenommen werden.

Doch woraus besteht unser Boden eigentlich genau? Erde besteht aus:
- Lehm oder Ton
- Sand
- Steine
- Wasser
- Bodenlebewesen/Mikroben/Pilze
Dass unser psychisches Wohlbefinden auch und zu einem grossen Teil von unserem Mikrobiom (Gesamtheit der Bakterien im Darm) abhängt, ist spätestens seit dem Erfolg des Buches Darm mit Charme einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Auch unsere Böden verfügen über ein Mikrobiom und beeinflussen dadurch unser Wohlbefinden. Schliesslich steckt in unserer Nahrung das, was zuvor im Boden war! Da auch der Boden alles verdauen muss, was Mensch, Tier und Pflanzen ihm „unterjubeln“, ist die Analogie mitdem Darm gar nicht so abwegig.

Klein aber oho!
Die Lebewesen unter dem Boden wiegen übrigens geschätzt 50x mehr als alle Menschen und Tiere, die ihr Dasein auf dem Erdboden verbringen. Unter 1m2 Wiesenbeoden leben ca. 100-200 Regenwürmer. Alle Regenwürmer, die unter einer Wiese leben, bringen zusammen wiederum mehr Gewicht auf die Waage als all die Kühe, die darauf grasen.
Die Regenwürmer wiegen zudem mehr als alle anderen Bodenbewohner zusammen – was sicherlich daran liegt, dass sie in Sachen Bodenverbesserung richtige Schwergewichte sind (Wurmrosa ist sogar eine offzielle Farbnuance, siehe The Colour… Pink)
WAS IST GUTER BODEN – UND WELCHE GEFAHREN DROHEN IHM?
Guter Boden ist locker, krümelig und duftet… na, erdig eben! Pflanzen können nur in der besonders nährstoffreichen und damit fruchtbaren Humusschicht wachsen. Diese ist ca. 30cm tief und damit hauchzart – die Erde ist eindeutig kein Dickhäuter! Pro Jahr entstehen in unseren Breitengraden durch die Zersetzung und Verwitterung von Pflanzenrückständen etwa 0.1 Millimeter Humus. Kein schnell nachwachsender Rohstoff also, weshalb die Folgen von Bodenerosion auch so verheerend sind.
Guter, gesunder Boden erbringt zahlreiche Leistungen, die für uns von enormem Nutzen sind:
- Lebensraum für Tiere und Pflanzen
- Nahrungsmittelproduktion
- Filtrierung, Speicherung und Regulation von Wasser und Nährstoffen
- Speicherung von Kohlenstoff
Gleichzeitig drohnen gutem Boden einige Gefahren:
- Klimawandel
- Zu intensive & einseitige Nutzung durch den Menschen: Monokulturen, mineralische Dünger, synthetische Pestizide und der häufige Einsatz schwerer Maschinen können das Bodengefüge zerstören und vergiften das natürliche Ökosystem.
- Unser Konsumverhalten: Der steigende Fleischkonsum, der hohe Bedarf an Energiepflanzen und nicht zuletzt Food Waste verschlingen wertvolle Landfläche, die oft viel effizienter und nachhaltiger genutzt werden könnten.
- Auch Bodenversiegelung durch Wohnungsbau, Industrie, Gewerbe und Infrastrukturprojekte sind problematisch.
DIE QUALITÄT MACHT’S AUS
Woran erkennt man guten Boden? Farbe, Geruch, Konsistenz, Feuchtigkeit, Nährstoffgehalt sowie Vegetation sind allesamt hilfreiche Indikatoren bei der Beurteilung.
Einen ungewöhnlichen weil klangvollen Nachweis der Bodenqualität erbringt das Projekt Souding Soil: Via Mikrofon wird die Mikroben-Aktivität im Boden hörbar gemacht. Diese Art von Monitoring möchten wir sehr gerne auch für unser Permakulturprojekt Which?Garden nutzen und haben uns deshalb für ein Aufnahmegerät beworben.
Wie es im Boden klingt? Mitunter wie auf einer viel befahrenen Kreuzung! Hier geht’s zur Schweizer Soundmap mit Hörproben : )
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QUELLEN & WEITERFÜHRENDE LINKS:
- „Was ist da unten los? Das Leben im Boden und in der Erde“, von Burckhard Mönter & Christine Faltermayr
- Dossier „Bodenwissen“ von Sounding Soil
- Film „Landraub“